Nach einer äusserst erquicklichen Nacht stopfen wir uns unsere leeren Bäuche wieder im Britannia voll. Diesmal sitzt ein älteres deutsches Ehepaar, das offenbar schon zahlreiche Kreuz- und Querfahrten über alle Weltmeere mitgemacht hat, an unserem Tisch. Sie sind der Meinung, dass das doch eine ganz gute Alternative sei zum entbehrungsreichen Leben in einem Altersheim und sie sich auf diese Weise nicht der dort geltenden Hackordnung unterwerfen müssten. Während sie plaudern, vertilgen sie wahrhaft riesige Mengen an Brot, Wurst, Lachs, Käse, Joghurt und Rührei mit Schinken und Speck und meinen, gestorben würde ja überall, warum sich also mit einem armseligen Leben an Land zufrieden geben, wenn es auf dem Schiff doch auch viel einfacher und lustvoller geht. Die Überlegung ist wohl nicht ganz falsch, wie mir scheint.

Um 9 Uhr besuchen wir einen Vortrag von Dr. Seth Gopin zum Thema „The Chic New York Skyscrapers of Today – Green and Lean“.

Sehr lebhaft und anschaulich beschreibt er, wie in den letzten zwei Jahrzehnten eine ganz neue Generation von besonders hohen, schlanken und energieeffizienten Hochhäusern entstanden sei und verrät uns auch, wie es überhaupt möglich ist, so hohe Gebäude zu bauen: alle 12 Stockwerke gibt es mindestens in einem speziellen Gebäude, an dessen Namen wir uns nicht mehr erinnern können, zwei Etagen, die einfach offen sind und durch die der Wind hindurch pfeifen kann, so dass die Konstruktion wesentlich weniger Angriffsfläche bietet. Er beschreibt auch den Preiszerfall für Wolkenkratzer, die noch im 19. Jahrhundert gebaut worden sind. Keiner will sie haben, weil deren Unterhalt einfach viel zu teuer und aufwändig ist. Ein Apartment (condominium) in einem modernen Wolkenkratzer mit allem Luxus hoch über den Dächern der nicht ganz so hohen Gebäude mit der obligaten Badewanne direkt am Fenster ist teilweise „schon“ für 40 Millionen US-$ zu haben – es gibt aber auch welche, für die Milliardenbeträge hingeblättert werden müssten. Der ökologische Fussabdruck sei bei den Top-Gebäuden nicht höher als der des Planetariums, in dem wir gerade sitzen. Er rät uns, mit der U-Bahnlinie 7 zum „Vessel“ zu fahren und uns dort eine ganze Reihe völlig neuartig konzipierter Wolkenkratzer anzuschauen. Natürlich sind wir voll des Stolzes, als auch Herzog und de Meuron, die Schweizer Stararchitekten, gebührend erwähnt werden.

Wer sich von der Fülle der Angebote auf dem Schiff erschlagen lässt und sich nicht gezielt auch ein paar Freiräume offen hält, kann durchaus in Stress geraten. Um dies zu vermeiden, gehen wir äusserst klug vor und schnabulieren in der Fresszeile auf Deck 7 ein paar Sushis (Verena) oder Joghurte und Obst, bevor wir am frühen Nachmittag erneut zum Planetarium spazieren. Die Tonanlage ist unterdessen repariert worden und wir legen uns in den Sesseln weit nach hinten, blicken nach oben und lassen auf einer riesigen, dreidimensional wirkenden Projektionsfläche schauerliche Bilder des unwirtlichen, kalten Weltalls an uns vorüberziehen. Leider konzentriert sich der Inhalt der Veranstaltung in erster Linie darauf, auf die drohende Gefahr übermässigen CO2-Ausstosses hinzuweisen und zu warnen – ich hätte mir eher gewünscht, ganz bescheiden wieder einmal etwas über unser Sonnensystem, die Planeten und all das zu erfahren was da am Himmel so kreucht und fleucht. Ein eindrückliches Sensurround-Erlebnis ist das Ganze aber trotzdem.

Beim Hinausgehen treffen wir zufällig auf Max und Annemarie und verabreden uns auf 5 pm im Commodore-Club zum Rapport, wo er uns dann wieder von Professor Blumenberg und seinem Löwen erzählt.

Eine leise, diskrete Wehmut erfasst uns, als wir abends zum letzten Gala-Event im Britannia zusammen kommen. Eben noch haben wir uns in diesem ehrwürdigen Speisesaal zum ersten Mal schüchtern und unbeholfen getroffen und schon steht der Abschied vom Schiff bevor! Auf eine ganz besondere, nicht einfach zu formulierende Art sind wir zu einem verschworenen Team geworden, Sandie und Ivor, Amanda und Steve und Sabine und Rolf. Ob wir sie später wieder einmal sehen werden? Sehr wahrscheinlich wird das ja nicht der Fall sein, aber wir tauschen schon einmal email-Adressen und Telefonnummern aus, um uns alle Möglichkeiten offen zu halten.

Wie der regelmässige Traumschiff-Konsument weiss, gibt es auf einem solchen Schiff am letzten Abend jeweils eine Prozession mit abenteuerlichen Torten und Hunderten Wunderkerzen, nicht zu vergessen natürlich die väterliche Ansprache des Captains, der seine Schäfchen nicht ohne gute Ratschläge von Bord zu gehen pflegt. Auf der Queen Mary 2 ist das fast genauso, nur der Captain fehlt. Aber das ganze Riesenheer der Köche tritt an, jeder herausgeputzt in seiner strahlend schönsten Uniform und standesgemäss mit weisser Kochmütze – sie stehen auf der Treppe zwischen Deck 3 und Deck 2 und kommen jetzt raschen Schrittes und begleitet von den schmissigen

Klängen des Radetzky-Marsches herunter und auf uns zu, marschieren wohl geordnet an uns vorbei und verschwinden wieder irgendwo im Bauch des Schiffes, wohl um die nächsten drei Tonnen Rüebli zu schälen und Saucen abzuschmecken. Ein sehr würdiger Abschiedsgruss der Kulinariker ist das, wir sind begeistert.

Wir können Sabine und Rolf dazu überreden, Max und Annemarie um 22 Uhr im Commodore-Club zu treffen, um dort der Darbietung eines Pianisten zu lauschen. Doch bis dahin müssen wir noch etwas Zeit überbrücken und wir begeben uns deshalb zum Chart Room, wo wir uns zum ersten Mal kein Bier, sondern erlesenen Sauvignon Blanc und einen Whispering Angel (kennen gelernt am Vortag bei Lunch and Learn) gönnen. Der Aufstieg zum Commodore-Club nimmt leicht schwankende Formen an, was sich NUR mit dem wieder etwas stärkeren Seegang erklären lässt. Der Abend klingt aus in grosser Hormonie und wir wünschten uns noch viele weitere solch gemütliche Anlässe!

Natürlich stellen wir die Uhren zum gefühlten 22. Mal zurück und sinken beglückt in unsere Kissen.