Wir haben beide sensationell gut geschlafen! Obwohl doch immer etwa eine Windstärke von 5 bis 7 Beaufort geherrscht hat und die Wellen auch nicht allzu klein waren, hat sich unser Schiff völlig unbeeindruckt von irgendwelchen äusseren Einflüssen beharrlich seinen Weg durch das viele Wasser gepflügt. Wir sind auf jeden Fall hungrig und gut ausgeruht, also geht’s ab ins Britannia zu einem reichlichen Frühstück! Hier müssen wir nun tatsächlich zum ersten Mal anstehen, bis uns ein Platz zugewiesen wird, aber diese 10 Minuten überstehen unsere knurrenden Mägen locker. Frühstück wird im Britannia ebenfalls am Tisch serviert, wie am Vortag auch schon das Abendessen. Unzählige Bedienstete, meistens mit asiatischem Einschlag, wie uns scheint, wirbeln durch die grosszügige Anlage und lustigerweise gibt es hier wieder dieselbe segregation of duties, die wir vor vielen Jahren schon in Swindon kennen gelernt haben: einer ist für den Kaffee zuständig, ein anderer für Eier, ein dritter schafft Brötchen herbei und irgend ein anderer scheint sich mit Joghurten auszukennen. Alles sauber getrennt. Ausserdem muss bei der Bestellung am Tisch haargenau deklariert werden, woraus sich das Frühstück zusammen setzen soll, z.B aus zwei Gipfeli, einem plain Joghurt mit some scrambled eggs, dazu vielleicht noch anderthalb sausages oder Gemüse oder oder. Es empfiehlt sich, die Brille mit zum Morgenessen zu nehmen, denn die Liste der bestellbaren Leckereien ist lang und in dünner Schrift (soll wohl Eleganz ausdrücken) gehalten. Wir kommen ins Gespräch mit einem englischen Ehepaar aus Kent, das in Southampton wieder aussteigt und dann zurück nachhause fährt. Längst nicht alle Passagiere fahren den ganzen Weg bis in die USA, wer die QM2 einfach mal kennen lernen möchte, kann auch nur relativ kurze Strecken fahren, zum Beispiel von Hamburg nach Southampton oder von Southampton nach Le Havre. Ich will von unserer Frühstücksbekanntschaft wissen, ob sie das Englisch des Personals gut verstehen und zu meiner Überraschung bestätigen sie dies ohne Einschränkung.
Gut gestärkt machen wir uns anschliessend auf den Weg durchs Schiff, einfach mal so der Nase nach


und es ist tatsächlich erstaunlich, dass man alle paar Meter auf irgendeine Attraktion stösst, eine verträumte Bar, ein Spielcasino oder einen langen Korridor, in dem Passagiere Scrabble oder Monopoly spielen und aufs Meer und die doch recht hohen Wellen hinausschauen.


Rein zufällig kommen wir zu einem Planetarium (Illuminations), das wir sofort besichtigen wollen, doch leider braucht man dafür Karten und die lassen sich nur vormittags um 9 Uhr bei der „Connexions“-Ecke bestellen, da, wo Computer for public use aufgestellt sind und sich auch WLAN-Tickets kaufen lassen. Das Planetarium verschieben wir also auf einen anderen Tag, wir haben ja noch Zeit genug. Es ist eindrücklich zu sehen, wie ständig geputzt und aufgeräumt wird auf dem Schiff, auch die Zimmer werden offenbar zweimal täglich besucht und gereinigt und dabei legen die Putzengel auch jedesmal ein paar Schöggeli hin und ersetzen das verdunstete Mineralwasser.
Nachdem wir an einer endlos langen Galerie von Filmgrössen vorbeigewandert sind, kommen wir zum „Royal Court Theatre“, ein riesengrosser Theatersaal, in dem in ein paar Minuten eine Veranstaltung der „Zeit“ stattfinden soll: vier Exponenten der Zeitung, darunter der Chef des politischen Teils und der Feuilleton-Chef bauen sich auf der Bühne auf und machen eine Tour d’Horizon zur Geschichte des Blatts, beschreiben die Gründe, weshalb Hamburg schon sehr früh eine besonders liberale Stadt geworden ist (nämlich durch ihre Lage zwischen dem europäischen Festland und Amerika), geben Anekdoten zu Gräfin Dönhoff zum Besten, plaudern über ihre Zeit mit Helmut Schmidt, aber auch Roger de Weck, die beide der Zeitung ihre unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hätten.


Eine geistreiche Runde, wie mir scheint, ich fühle mich sehr wohl und abonniere die „Zeit“ für zwei Jahre. Scherz, diese Möglichkeit gibt es gar nicht, aber ich bekomme Lust, wieder einmal in einer Ausgabe zu blättern. Es wird auch viel über die Herausforderung durch die digitalen Medien gesprochen, über den Unterschied zwischen der amerikanischen und der europäischen Presse und dem Druck, möglichst objektiv zu informieren auf der einen Seite, und dennoch eine eigene Haltung einzunehmen auf der anderen (Lügenpresse, Bevormundung der Leserschaft („betreutes Denken“, wie das beim Abendessen die ältere Lady nennen wird, der wir von unserem Erlebnis erzählen werden) und es gibt auch recht selbstkritische Anmerkungen innerhalb der Vierergruppe zu diesem Thema.
Geistige Auseinandersetzung verursacht meistens auch ein leichtes Hunger- und Durstgefühl und wir machen uns auf den – wie meistens zufälligen – Weg nach der nächsten Verpflegungsmöglichkeit. Lange müsse wir nicht suchen und schon landen wir am Tresen einer coolen Bar, direkt neben dem Spielcasino, wo wir den Barkeeper kennen lernen, der uns von seinen Erlebnissen mit der QM2 erzählt und davon, dass er morgen endlich wieder nach Peru zu seiner Familie fliegen wird. Ein gesprächiger junger Mann, der auch hier einen umwerfenden südamerikanischen Charme versprüht.

Und da sind sie, ok, ist sie, die beleibte Amerikanerin in Flipflops und superblonder Mähne und ich registriere, dass ich mich den Vorstellungen der Cunard-Line innerlich offenbar bereits recht weit angeschlossen habe, die ein solches Auftreten alles andere als toll findet.


Grade kann ich Verena noch davon abhalten, ihr letztes Geld zu verspielen:

OK, getrunken haben wir inzwischen, aber noch nichts gegessen. Doch welch unverdientes Glück, zehn Meter weiter treffen wir auf ein Pub, in dem wir zwei Portionen Fish and Chips zur Brust nehmen und auch einen Musikwettbewerb über uns ergehen lassen (habe praktisch keinen der 20 gespielten Titel benennen können). Sehr lustig das Ganze und sehr unterhaltsam.

Doch viel Zeit haben wir gar nicht mehr – heute Abend ist Gala-Abend, was auch immer das heissen mag und tatsächlich sind wir wieder die letzten, die sich nach 18 Uhr zum Essen einfinden. Die anderen haben ihre Vorspeise bereits hinter sich gebracht – ist das peinlich? Ich glaube, wir sind trotzdem nicht in Ungnade gefallen und plaudern bereits wieder beschwingt und lebhaft über unsere Tageserlebnisse. Selbstverständlich habe ich heute meine allerneueste PKZ-Anschaffung montiert, zusammen mit dem ebenfalls allerneuesten PKZ-Hemd, das sich so schwer zuknöpfen lässt und obwohl ich meine feuerrote Crevette trage, sehe ich nicht aus wie Donald Trump, obwohl ich doch eigentlich insgeheim genau das erreichen wollte …

Heute scheint mir das ältere Ehepaar, besonders sie, etwas scharfzüngiger drauf zu sein als am Vorabend, denn als wir ihr von der „Zeit“-Veranstaltung erzählen, weiss die Runde bereits nach wenigen Sätzen, dass sie diese Zeitung seit Jahren links liegen lässt, da sie sich durch sie geistig bevormundet fühlt (ihr durchaus lustiger Ausdruck, den ich bestimmt in anderem, vollständig unpassendem Zusammenhang recyclen kann, ist „betreutes Denken“, im Brustton leichter Empörung vorgetragen). Da sie aber gleichzeitig die NZZ so toll findet, erstickt sie meinen sich leise regenden Kampfgeist zugunsten der „Zeit“ und ich verzichte darauf, mich mit ihr anzulegen, obwohl ich denke, dass sich hier interessante Gräben hätten auftun können. Meine Meinung zu diesem Thema, die ich immerhin ungefragt noch abgebe, ist die, dass eine Zeitung durchaus eine eigene Linie haben sollte und nicht einfach nur Facts liefern darf, sondern diese kommentieren und in einen grösseren Zusammenhang stellen muss, auf dass eine fröhliche Diskussion mit anderen Überzeugungen überhaupt erst ermöglicht wird. Ich finde es zudem verständlich, dass sich der Leser erst einmal der Zeitung hingibt, die seine Haltung am ehesten vertritt, und wer sich wahrhaft objektiv und möglichst unvoreingenommen informieren möge, muss sich halt die Mühe nehmen, auch in ein anderes Blatt hineinzugucken. Aber egal, die NZZ rettet uns, es kommt nicht zur grossen Diskussion und alle können den Abend in voller Hormonie beschliessen und den Tisch verlassen.
PS: Wir lernen eine weitere Berufsgattung kennen: den Kellner, der für das Pfefferstreuen zuständig ist, interessanterweise, noch bevor der Gast den ersten Bissen zu sich genommen hat …
Da wir geistig und körperlich noch in keiner Weise gefordert sind, wollen wir den durch die „Zeit“-Truppe angedrohten Sundowner auf Deck 7 miterleben. Wir steigen also wieder ein paar Stockwerke hoch, schlendern durch die Gänge, entdecken neue Bars und Restaurants und wandern schliesslich auch einmal ganz ums Schiff herum.

Es ist erstaunlich warm, oder sagen wir unkalt, aber es bläst ein gewaltiger Wind, obwohl dieser die Wellen in keiner Weise zu beeinflussen scheint. Der Rundgang fühlt sich fast etwas gespenstisch an: kaum jemand ist unterwegs, ausser massenhaft Schiffspersonal natürlich, das auch jetzt noch, um rund 22:30 Uhr, überall etwas zu reinigen oder festzuzurren findet und wir bilden eine quasi-metaphysische Einheit mit Wind, Wasser und Schiff. Ein Blick die rund 20 Meter hinunter zur Wasseroberfläche ist schauerlich-eindrücklich und wir sind froh, dass wir nicht Küblböck heissen.
Wiederum durch Zufall gelangen wir auf Deck 8, wenn ich mich nicht irre, plötzlich zum riesengrossen Ballhouse, einer Einrichtung, die etwa dreimal so gross zu sein scheint wie das Bernhard-Theater und wo Rock-, Pop- und Soulmusik live vorgetragen wird. Gut gespielt, eher unüberzeugend gesungen, aber der Stimmung tut das keinen Abbruch. Wir setzen uns hin und schämen uns dafür, dass wir den Mut nicht aufbringen, uns selber auch auf die grosse Tanzfläche zu bewegen, sondern uns lieber hinter einem weiteren San Miguel verstecken.

Wir kontrollieren unsere iPhones und stellen mit grösster Befriedigung fest, dass die Zeitumstellung (eine Stunde zurück) automatisch vorgenommen worden ist, da wir morgen ja britisches Territorium in Southampton erreichen und betreten werden.
Soviel „Glanz und Glämmer“, ich kann‘s nicht glauben dass diese vielen Säulen, Hallen, Bars in einem Schiff ist. Von Außen kann kann man das gar nicht richtig erfassen. Also Reni in ihrem Ringelshirt habe ich erkannt. Aber wer ist denn das elegante ältere Paar am Tisch???
🙂 liebe Grüße und volle Fahrt
dorle