Vielleicht ist die erneute Zeitumstellung, diesmal eine Stunde vorwärts, der Grund, weshalb wir nach dem Aufstehen nur noch eine halbe Stunde Zeit haben, uns beim Sammelpunkt für den zweiten Landausflug einzufinden. Für uns ist es noch mitten in der Nacht,

und einmal zusätzlich Pipi wäre für die darauffolgende Busfahrt nicht von Schaden gewesen. Denn wir sind volle 90 Minuten unterwegs nach Rouen, der Hauptstadt der Normandie. Wir haben natürlich nur wenig Zeit für die Altstadt, die uns sehr gut gefällt. Kein Verkehr, viele anmächelige Läden, zahlreiche Cafés, freundliche Leute und sogar etwas Sonne, nachdem der Regen in der Nacht recht heftig an die Scheiben geklatscht hat.

Zu Verenas Leidwesen und meinem Glück finden wir nur wenige Kleider- oder Modeläden, aber ein Gürtel für Verena muss dann doch noch her. Etwas eigenartig finden wir die recht zahlreichen Einheimischen, die mit einer weissen Atemschutzmaske durch die Gassen spazieren, aber man kennt das ja aus Japan. Sind wir jetzt auch schon so weit? Wir wandern ein bisschen umher und finden uns dann um 11:45 Uhr wieder beim Bus ein, dessen Fahrer, immerhin „der beste Frankreichs“, uns unbeschadet zum Schiff zurück fährt.

Es ist leicht, sich an Bord der QM2 zurecht zu finden. Insgesamt gibt es vier Stairways (A, B, C, D), Stationen also, von denen doppelt ausgelegte, mit Teppich bespannte Treppen durchs Schiff führen und wo gleichzeitig bis zu sechs luxuriös möblierte Lifte zur Verfügung stehen. Und ist man einmal auf dem gewünschten Deck angekommen, befinden sich die Staterooms mit den ungeraden Nummern jeweils steuerbord (also rechts in Fahrtrichtung) und die mit den geraden, oh, Wunder, backbord. Noch nie haben wir auf den Treppen ein Gedränge erlebt, nur manchmal stolpern wir über zwei Kinder aus Zürich, denen wir uns aber nicht als Miteidgenossen zu erkennen geben. Natürlich liegt der Altersdurchschnitt eher über 50, aber es gibt durchaus auch recht viele jüngere Passagiere und adrette Damen, die man nicht nur an den Gala-Abenden in reizvollen Garderoben antreffen und bewundern kann. Da ich nun aber der höflichste Mensch von der Welt bin, kann ich es mir nicht erlauben, ihre Fotos ins Internet zu stellen, auch wenn sie das selber vielleicht eine sehr gute Idee finden würden. Nachdem Verena von Manuel, dessen Freundin in ihrem Stateroom offenbar gerade einen Schönheitsschlaf nimmt, zu einem Champagner eingeladen worden ist, machen wir uns wieder einmal auf zu einem weiteren Erkundungsgang durch unsere neue Heimat und stossen auf eine Art Gallery, die eine äusserst angenehme Atmosphäre ausstrahlt: der Raum ist mit dicken Teppichen ausgelegt, die jeden Ton gleich aufsaugen, es ist also sehr ruhig, kein Mensch ist anzutreffen und an den Wänden finden wir Gemälde, die wohl einem breiten Publikum gefallen dürften, darunter auch Bildnisse von weiblichen Schönheiten, die wir hiermit ungefragt und ohne schlechtes Gewissen in unser Tagebüchlein aufnehmen.

Doch schon ist wieder Zeit, uns auf den Weg zu machen in den King Lion Pub, wo wir Max und Annemarie treffen wollen (wir haben abgemacht, dass wir da, abhängig von Lust, Laune und anderen Aktivitäten, jeweils nach 16 Uhr für ein Bier um vier anzutreffen sein könnten), und auf dem Weg dahin

kommen uns bei der Grand Lobby doch tatsächlich die drei deutschen Passagiere entgegen, mit denen wir zu Beginn der Reise abends am Tisch gesessen haben (unterdessen sind wir leider auseinander gerissen worden und wir sitzen zu Acht am Tisch, nämlich mit dem Kommissar und seiner Frau Sabine, einer nicht mehr ganz jungen, aber ausserordentlich liebenswürdigen, sehr gepflegten Engländerin (Sunday oder so, mit Ivor, der einen ausgesprochen zufriedenen, ja glücklichen Eindruck macht, obwohl er im Rollstuhl sitzt sowie Steve (seines Zeichens Kapitän, aber für etwas kleinere Schiffe als die QM2) mit seiner Frau Amanda), also diese drei „Freunde“ treffen wir an, denen wir erzählen, dass wir vorher in Rouen gewesen sind, worauf sie entsetzt fragen, ob wir denn von dem Brand in einer Chemiefabrik bei Rouen nichts mitbekommen hätten, die Schulen seien geschlossen, alle Filteranlagen müssten ersetzt werden und die Fabrik gehöre zur Klasse der Seveso-Gifte (Dioxin) prodzierenden Unternehmen, die besondere Auflagen zu erfüllen hätten. Verena fährt ein mächtiger Schreck in die Glieder, sie ist ziemlich beunruhigt und weiss jetzt, warum es in dem Bus so komisch gerochen hat und warum die Leute mit Schutzmasken herumgelaufen sind. Ich spüre nichts vom gemeingefährlichen Fallout, werde aber Verena zuliebe die Cunard-Line einklagen und Schadenersatz in Millionenhöhe verlangen.

Da wir Max und Annemarie im Pub nicht antreffen, machen wir es uns halt zu zweit gemütlich, achten aber genauestens auf die Zeit, denn wir wollen wiederum als Erste beim Abendessen erscheinen, um einen guten Eindruck zu machen. Das gelingt uns auch, wir essen wiederum gut und reichlich und Verena lässt sich von Sunday das Rezept für einen englischen Pudding geben und das geht so:

Man nehme weisses Brot, schneide es in Scheiben, bestreiche diese mit Butter und etwas Zucker. Jetzt werden diese Stücke in kleine Würfel geschnitten und in Backförmchen gefüllt, bevor Milch mit verquirltem Ei darüber gegossen wird. Dann backen und zusammen mit Vanillesosse servieren. Optional können statt Brot auch Muffins mit Schokostückchen oder Rosinen verwendet werden. Die Engländer nennen das Ganze bread and butter pudding. Auf Deck 8 gönnen wir uns noch ein Schlückchen in der Verandah-Bar,

wo wir eine Einladung sehen für „Lunch and Learn“ am 1. Oktober, wofür wir uns kurzerhand gleich anmelden.

Wir spüren nichts von strong winds und rough sea und schlafen wie die Herrgöttli.